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Mimikry und Mimese im Olympiastadion

Früher haben meine Freundinnen manchmal vor ihren Freunden mit mir angegeben: “Das ist Saskia, und sie kennt sich echt gut mit Fußball aus”. Mehr als ein müdes Lächeln bekamen sie zwar meistens nicht zurück, aber einen Versuch war es in ihren Augen wohl wert gewesen. Manchmal fühlte sich allerdings doch irgendein Johannes dazu genötigt, mich einem kurzen Basis-Wissenscheck zu unterziehen, gerade wenn ich mich als Herthanerin zu erkennen gab. “Wie hat Hertha letzte Woche gespielt, welcher Tabellenplatz, sag doch mal 3 (!) Spieler aus dem aktuellen Kader, wie heißt euer Trainer?” Ich kann diese Fragen mit Leichtigkeit beantworten, die Messlatte ist nicht gerade hoch. Die spannendere Frage ist, ob sich Fußballfans grundsätzlich mit einem Faktencheck begrüßen, wenn sie sich unbekannt sind, und ja, diese Frage war rhetorisch, die Antwort ist: Nein.

Fußball ist vielschichtig und umfasst viel mehr als Aufstellungen, Stadion- und Spieler:innennamen. Taktikfüchsin war ich noch nie. Ich gehe lang genug in Stadien und fühle mich dort wohl, kenne quasi die Trampelpfade, Kurvenkult und Vorsängerverehrung, die beste Würstchenbude, den schnellsten Bierzapfmenschen. Ich bin eine #FanFrau mit Ahnung und Meinung und manchmal schreie ich die auch rum, natürliches Habitat. Wissen, worüber man spricht, finde ich zwar uneingeschränkt immer empfehlenswert… Aber gut, diese Empfehlung ist im Stadion, in der Kurve, während der Spielwahrnehmung bei einigen Stadionbesuchern vielleicht nicht angekommen und manche Äußerung dem Affekt geschuldet. Das Brabbeln gehört ja auch zum guten Ton der Ostkurve. Dort stehe ich meist zwischen Männern und performe mein Fußball-Ich, das über die Jahre und mit wohlwollender Begleitung meiner allerliebsten Stadionfreundin Gerti gewachsen ist. Anfangs mit Halbwissen, dann mit Ehrfurcht und Ehrenkodex, nun mit Gelassenheit und großer Klappe, so würde ich meinen Werdegang beschreiben. Immer in Abwehrhaltung, weil die männlichen Egos fragil sind und ein fanfreundschaftliches Lächeln oder Abklatschen nicht von jedem richtig eingeordnet wird.

Schulle statt Kindl, Pyrotechnik (ist kein Verbrechen), die Unfähigkeit des Schiedsrichters (immer gegen Hertha), die Unfähigkeit der eigenen Mannschaft (meist nach dem ersten Fehlpass oder Annahmefehler) und die Schmähgesänge und Beleidigungen des Gegners, Codes der Dazugehörigkeit in der 90-minütigen emotionalen Ausnahmesituation. Fußball ist soziale Interaktion, Lebensinhalt, Sehnsuchtsort, internationaler Großkonzern, Gelddruckmaschine und Spiegelbild der Gesellschaft. Die Beleidigungen der einzelnen Spieler, ein für mich generell fragwürdiges Konzept der Erhebung über Andere, funktioniert im Stadion bis heute über diskriminierende Sprache. Dass ein Mannschaftssport mit Feindbildern arbeitet, okay. Ich finde Bayern München schrecklich und finde genug missbilligende Wörter, die niemanden verletzen und verunglimpfen, um meine Abneigung auszudrücken. Im Olympiastadion ist Sprache stumpf, ich habe in all den Jahren wenig Kreatives gehört. Ich achte darauf, weil neben mir schon oft genug der Schiedsrichter als Fotze beschimpft wurde und es sich dabei um einen abwertenden Begriff für (m)ein Sexualorgan handelt, in das viele Männer gerne ihren Willi reinstecken, wenn wir mal von einer heterosexuellen Grundmasse der Stadionbesucher ausgehen (ist natürlich auch ein Mythos). Die Spieler anderer Vereine werden oft als Hurensöhne betitelt und damit vermeintlich beleidigt, obwohl Hurensohn eine in Wirklichkeit frauenfeindliche Beleidigung ist. Genau genommen ist nur der Sohn einer Sexarbeiterin gemeint, die wiederum im besten Fall Geld mit der Lust eines Mannes verdient. Aber das hat natürlich nichts mit einem selbst oder der eigenen Mutter zu tun, gell? Wie ist diese Wahrnehmungsschere der Stadionbesucher und auch einiger Besucherinnen zu erklären? 

Der Weg ins Stadion für Frauen ist steinig, das gilt auch für Fankneipen und Vereinsgremien. Das Klo im Stadion dürfen wir ja immerhin schon länger putzen und nach dem Spiel in der Vip-Lounge arbeiten ganz überraschend hauptsächlich junge Frauen in bedienender Tätigkeit, damit sich das gestresste Auge des geschundenen Fans entspannt und man neben gratis Getränken auch noch einen Hauch von Abenteuer geboten bekommt. Da ist kein Spruch zu plump und Fremdscham keine Grenze gesetzt. Eins zu eins übertragbar in Teile des Stadioninnenraums – we won’t stop cause we can’t stop. Wie halten Frauen das also überhaupt aus? Spoiler: so wie sonst auch, durch Verdrängung, Abschottung, Mimikry und Mimese.

Aufs Stadion runtergebrochen und vereinfacht dargestellt und natürlich nicht für alle Frauen geltend, bedeutet das: Frauen gehören zur Gruppe der Kinderverpflegerinnen, Begleiterinnen, Bierholerinnen, Zuhörerinnen oder haben ähnliche Funktionen, die der störungsfreien Spielverfolgung des Mannes dienen. Oder sie übernehmen aus Gründen der Zugehörigkeit, besonders in der Kurve, männliche Verhaltensmuster und diese unterliegen beim Fußball bestimmten Ritualen. Und dann hat man sich dann eben nicht so, wenn es mal derbe wird, denn das gehört ja dazu. So lautet die Erzählung. Das Stadion als letzte Männlichkeitsbastion. Tatsächlich kenne ich keinen Fanclub, der sich sein eigenes, weibliches Profil geschaffen hat (ich beziehe mich gerade auf Männerfußball-Teams der 1. Bundesliga). Dennoch gibt es sie, die unterschiedlichsten Frauen im Stadion, aber kategorisiert. Und wer will schon Groupie sein, wenn man auch Franz Beckenbauer sein kann? Oder eben die Schiedsrichter-Fxxxx.

Ich habe Männer neben mir auf ihre Wortwahl angesprochen, mittlerweile pöble ich oft einfach nur zurück, denn meine Erfahrung hat gezeigt, dass ich die Schuldige bin (bin ich natürlich nicht), wenn ich mich an der Wortwahl störe und nicht der, der das Wort verwendet. Und nein, nicht mehr hingehen und weg- oder überhören sind keine Optionen. Die Verwendung von Sprache ebnet den Zugang zu Gedanken und Weltbild und daran kann man arbeiten. Es ist möglich, das Miteinander so zu gestalten, dass niemand ausgegrenzt wird oder sich schlecht fühlt. Das muss man wollen und dabei muss der Verein, die Vereinsführung und die diversen Fangruppen unterstützende Arbeit leisten. Und damit meine ich nicht, die Anwesenheit von Frauen durch gegenderte Fanutensilien sichtbar zu machen und zu glauben, Gleichstellung bedeutet, ein rosa T-Shirt mit einem Schnörkelschriftzug zu verkaufen. Ich erinnere mich mit Fassungslosigkeit an die Hertha-Freundin oder empfehle zur weiteren Abschreckung einen Besuch in der Frauen-Abteilung unseres Fan-Shops.

Kleiner Exkurs: Neulich lief das Champions-League-Finale VfL Wolfsburg – Lyon (1:3) im Fernsehen und passend dazu wurde deren Spielerin Pernille Harder als erste ausländische Fußballerin überhaupt vom Kicker zur Fußballerin des Jahres 2020 gewählt. Habt ihr alle mitbekommen, oder? Oder? What? Nein? Das ist ist doch auch das FRAUEN-Finale, übertragen auf Sport1 und nicht auf drei Sendern gleichzeitig. Auch die Radiowerbung für das CL-Finale mit deutscher Beteiligung und dem Hinweis, dass Béla Réthy noch lebt, habe ich da wohl überhört. Und neben den drölfzig Fotos von Lewandowski und A Star is Born-Flick war wohl einfach kein Platz mehr für eine Frau…

Auch das ist fehlende Sichtbarkeit von Frauen. Fußball gehört den Männern. Die Vereine sind in Männerhand, die Stars sind männlich und die Sendezeiten sowieso. Frauen sind in der Welt des Fußballs unterrepräsentiert. Das ist wenig überraschend, da das in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ähnlich ist, jedenfalls in denen mit Geld, Ruhm und Aufmerksamkeit. 

Doch es sind Frauen im Stadion, auch im Olympiastadion. Mit rosa T-Shirt oder Trikot, mit Ahnung, Meinung, mit Bier oder Cola, mit Schwips oder Suff, mit oder ohne männliche Begleitung, so wie Männer auch, wenn wir hier im binären Kontext bleiben. Meine Anfrage bei Herthas Fanbetreuung zur Verteilung der Mitgliedschaft und Dauerkarteninhaber*innen blieb dahingehend unbeantwortet, dass Hertha BSC die Zahlen nicht veröffentlicht. Sie werden wissen, warum.

Um zum Schluss noch mal auf die Johannese zurückzukommen: Die meisten Freunde der Freundinnen waren Fans von Dortmund, dem Hamburger SV oder des VfL Bochum, echte Vereine und echte Liebe eben (they said) und waren mir in ihren Augen schon alleine deswegen realnessmäßig uneinholbar voraus. Dabei haben wir die Atzen im Stadion gehabt, Alter:

Meine Liebe zu Hertha ist bis heute für viele Männer out of my peergroup eine Mischung aus bemitleidenswert und belächelnswert. Dass ich mich am Spieltag nicht verabrede, wollen viele nicht so recht glauben, sie merken es aber spätestens dann, wenn ich wirklich nicht komme. Termine wegen Fußball verschieben ist dann doch ein bisschen zu viel des Guten, während eine Absage wegen kranken Kindern kein Problem ist. Über die Jahre habe ich viele ungefragte Bewertungen meines Fantums gesammelt. Die Erzählungen zur Entstehung der Vereinszugehörigkeit gelten in der Regel auch nur für Männer, dem mir daher unbekannten Initiationsritus habe ich daher nicht beigewohnt und es trotzdem in den Besitz einer Dauerkarte geschafft, die ich nie wieder hergebe, hallo Corona. Hahohe!

Link zu Spotify:

Quellen:

https://www.google.com/search?q=fu%C3%9Fballer+des+jahres&client=firefox-b-d&sxsrf=ALeKk01-RWkesvd0Un3WpRlHD1ewT3YxzA:1598899761583&source=lnms&tbm=nws&sa=X&ved=2ahUKEwiz58fijcbrAhUN2KQKHYGfAZAQ_AUoAXoECBgQAw&biw=1280&bih=675

Zugriff: 31.08.2020 Google Suche zum Thema Fußballer des Jahres

https://www.zeit.de/sport/2011-08/frauen-stadion-bundesliga-fans/komplettansicht

Zugriff: 02.09. 2020

Kreisky, Eva / Spitaler, Georg (HG.) Arena der Männlichkeit. Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht. Campus, Frankfurt, 2006.

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