Wenn man in die Celsiusstraße einbiegt und zwischen den Parkplätzen in das Innere der Siedlung geht, wird man auf der ersten Grünfläche gleich warmherzig empfangen. Das erste Schild verbietet Fußball und Hunde auf der Rasenfläche.
Willkommen in der Thermometer-Siedlung am südlichen Stadtrand von Berlin. Aus Zufall bin ich auf einen Artikel von 2014 gestoßen:
„Lichterfelde-Süd (tvu). Die Kinder in der Thermometer-Siedlung schieben mächtig Frust. Da haben sie ihre eigenen Fußballplätze direkt vor der Haustür und dürfen nicht rauf. Das große Eisentor ist schon ewig verschlossen. Und das auch noch zu Zeiten der WM, wo sich sowieso alles nur um Fußball dreht. „Wir würden so gerne auf dem Bolzplatz hinter dem Ball herjagen. Aber leider dürfen wir nur vor dem Fernseher vom Fußball träumen“, sagt der kleine Nido traurig. Jürgen Bischof, Leiter des „Bus-Stop-Zentrums“in der Celsiusstraße, macht sich Sorgen um die Zukunft der Jugendlichen. „Hier fehlen einfach Sportplätze, damit die Kinder weg von der Straße sind. Wir brauchen mehr Unterstützung, um den Familien hier helfen zu können.“ (….) Die geschlossenen Fußballplätze in der Siedlung gehören der Wohnungsbaugesellschaft GSW, die dort 1.200 Mieteinheiten verwaltet. Schon vor Jahren legte das Unternehmen die Fußballplätze still, weil der baurechtliche Zustand ein gefahrloses Spielen nicht mehr zulässt und sich immer wieder Anwohner über den dauernden Spiellärm beklagten. „Zurzeit planen wir nicht die Plätze zu sanieren, denn es gibt ausreichende Spielgelegenheiten in der Siedlung und der Umgebung“, erklärt der Unternehmenssprecher Christoph Wilhelm. (….) Doch in absehbarer Zeit werden die Fußballplätze in der Thermometer-Siedlung wohl nicht geöffnet, denn die Wohnungsbaugesellschaft GSW wurde erst kürzlich von der „Deutsche Wohnen AG“ übernommen.“
// Berliner Abendblatt (Ausgabe Steglitz-Zehlendorf) – Nr. 25-ST/2014, 21. Juni 2014, Seite 9
Das Orginal ist leider nicht mehr Online. Hier findet sich eine Version.
Als meine Mutter sich von meinen Vater trennte ist sie mit mir an den Südlichen Stadtrand gezogen. Hinter unserer Wohnsiedlung war Brachland, ein Feld und gleich danach die Berliner Mauer. Auf dem Brachland konnten wir unseren Fußballplatz einrichten und damit bin ich tatsächlich sozialisiert worden. Wir Kinder waren ja alle neu zugezogen und der Fußball hat uns verbunden. Die ersten Jahre haben wir eigentlich nur auf unseren Platz verbracht, Bolzplätze im Käfig waren 1975 bei uns nicht vorhanden. Der Fußball hat mir damals geholfen. Freunde finden, nicht mehr an die Trennung denken, er war eine Art Therapie, hat mich gestärkt und getröstet.
Als ich so durch die Thermometer Siedlung gehe kommt das tatsächlich wieder hoch. Klar. Unsere Siedlung war viel kleiner, aber irgendwie kommt mir das doch bekannt vor.
Ich stehe vor dem ersten geschlossenen Bolzplatz. Immerhin, eins muß man der Deutschen Wohnen lassen. Kreativ sind sie. Wo findet man schon so praktische Abstellflächen für seine Maschinen und Baumaterialien? Das Gitter ist ja schon da.
Besonders Kinderfreundlich war dieser Käfig übrigens auch zu seinen Glanzzeiten nicht. Das alte Schild an der Tür versprach für die Anwohner himmlische Ruhezeiten.
Warum sollen die Gören auch Sonntags draußen Spielen. Auf eine bestimmte Art und weise passt das auch zur Geschichte der Thermometer Siedlung. Als 1970 die ersten Bewohner einzogen sind, hat man „vergessen“ Briefkästen zu bauen, es gab nur zwei Telefonzellen, private Telefonanschlüsse erst ab 1972, da die Bundespost keine Kapazitäten frei hatte.
Tatsächlich hat man ein Viertel mit ungefähr 2500 Wohnungen (ca. 7500 Bewohner) auf die grüne Wiese gestellt und die sogenannten Folgeeinrichtungen einfach nicht Berücksichtigt. Es gab keine Freizeiteinrichtungen, Sporteinrichtungen und noch nicht mal eine direkte Busverbindung in die Innenstadt.
Ich laufe weiter zum nächsten Käfig. Dies ist mein zweiter Besuch hier. 2017 war der Käfig keiner mehr. Auf einer Seite war das Gitter gebrochen und schwebte Scharfkantig in Kopfhöhe, keiner konnte dort spielen. Direkt neben der Grundschule stelle ich fest, das Gitter ist repariert und der Bolzplatz lebt. Jedenfalls solange der Bodenbelag noch mitmacht.
Archäologen die sich für Bolzplätze der 80er und 90er Jahre interessieren sollten sich beeilen. Lang wird dieser Platz wohl nicht mehr zur Verfügung stehen. Aber auch für interessierte Ökologen hat die Bolzplatzsituation dort einiges zu bieten. Gleich um die Ecke ist ein kleiner Sportplatz mit Basketballkörben und Toren. Also es war mal ein kleiner Sportplatz. Jetzt ist es ein Birkenwäldchen.
Auch hier geht wieder ein Glückwunsch an die Wohnungsbaugesellschaft. Grünflächen werten das Wohnumfeld einfach auf.
Mich macht das Traurig. Man hört oft vom Tod des Fußballs durch Investoren, durch den Spielplan durch geldgierige Verbände. Stimmt ja alles und wird Medial ja reichlich begleitet. Der Fußball stirbt auch in der Thermometer Siedlung. Dieser Tod ist leise, er findet praktisch unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit statt und betrifft immer diejenigen die keine große Stimme haben.
In meinen Leben hat diese Art den Fußball zu leben als Kind eine großartige Wirkung auf mich gehabt. Dieses Gefühl nicht alleine zu sein, immer einen Platz draußen zu haben der uns gehörte, der ein Wir-Gefühl erzeugen konnte. Der Platz, der Ball, die Kumpels.
Ich stehe vor dem Birkenwäldchen und fange fast an zu weinen. Hier ist jedenfalls kein Platz mehr für solche Gefühle.
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