Mit Uganda assoziiert man vermutlich eher negative Ereignisse & Personen. Viele werden an Idi Amin denken, ein schrecklicher Diktator, der seine Feinde angeblich den Krokodilen zum Fraß vorwarf. Auch die Entführung des Air France Fluges 139, welche auf dem ugandischen Flughafen in Entebbe ein blutiges Ende nahm, wird dem einem oder anderem ein Begriff sein.
Uganda ist ein Land mit einer langen Leidensgeschichte. Auch nach der Absetzung Amins im Jahre 1979 konnte sich das Land politisch sowie gesellschaftlich nie wirklich stabilisieren. Vor allem die sogenannte „Lord Resistance Army“ sorgte im Land fast 20 Jahre für Aufruhr. Diese wurde von Joseph Kony als Widerstandsbewegung gegen die ugandische Regierung um den Präsidenten Museveni gegründet, mit dem Ziel, einen Gottesstaat basierend auf den 10 Geboten zu errichten. Zum Erreichen des Ziels wurde vor keinerlei Brutalität zurückgeschreckt, vor allem der Norden des Landes war sehr stark betroffen. Die Liste der Anschläge durch die LRA ist lang und grausam. So grausam, dass man an dieser Stelle lieber auf genaue Details verzichtet. Bis heute fielen knapp 100.000 Menschen der Terrorgruppe zum Opfer. Schätzungsweise wurden 70.000 Kinder von der LRA verschleppt, misshandelt oder als Kindersoldaten rekrutiert. Jungs wurden dazu gezwungen, ihre Mütter umzubringen und Mädchen mit den Kämpfern zwangsverheiratet oder gar als Sexsklavinnen gehalten. Die LRA gilt in Uganda als weitestgehend verdrängt und ist bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr im Land aktiv. Ich glaube, man liegt nicht falsch, wenn man sagt: das ugandische Volk ist zutiefst traumatisiert.
Uganda ist ein wunderschönes Land. Wunderschön auf mehreren Ebenen. Das erkannte seinerzeit auch schon Winston Churchill, der das ostafrikanische Land „Perle Afrikas“ taufte. Egal ob Savanne, Regenwald oder schneebedeckte Berge: Uganda kann beim Thema Natur eigentlich alles bieten. Dazu kommt eine unglaublich gastfreundschaftliche Bevölkerung. Egal ob in der Hauptstadt Kampala oder einfach auf dem Dorf, wir wurden immer mit einem Lächeln empfangen und wie die eigene Familie behandelt. Eine Gastfreundschaft, die ich in der Form noch nie vorher erlebt hatte.
„Du warst in Uganda? Wieso?“ Das ist meist die erste Frage, die ich gestellt bekomme, wenn ich eine der etlichen Geschichten aus Uganda erzähle. Mein Abitur habe ich 2016 mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen. Mit 18 Jahren direkt danach anfangen zu studieren war für mich nie eine ernsthafte Alternative. Wie es mittlerweile in meiner Generation fast schon üblich ist, wollte ich unbedingt die Zeit nach dem Abi im Ausland verbringen. Zu Beginn fasste ich klassische Ziele ins Auge: Work & Travel in Australien? Roadtrip durch Amerika? Paradiesurlaub in Thailand? Alles Reisen, die vermutlich ebenfalls unvergesslich, aber für mich irgendwie 08/15 gewesen wären.
Mitten in der Abi-Lernphase kam ein Kumpel auf mich zu und erzählte mir von einem Projekt in Uganda. Sie wären bisher schon sechs Leute und würden noch nach zwei Mitreisenden für die vier Wochen in Uganda suchen. Ohne weiter drüber nachzudenken sagte ich ihm zu. Uganda kannte ich bisher nur aus dem viralen Video „Kony 2012“, sonst konnte ich wenig über das Land sagen.
Als Fußballfan hat man auf Reisen oft auch einen Blick auf den Fußball im Land. Zumindest geht es mir so und ich versuche eigentlich auf jeder Reise etwas über den lokalen Fußball aufzuschnappen. Oftmals bestimmt auch zum Leiden meiner Mitreisenden…
Auch in Uganda war es dieses Mal nicht anders. Schon früh auf der Reise erkannte ich, dass vor allem die Premier League sehr beliebt ist. Egal wo du dich aufhieltst, du konntest dir ziemlich sicher sein, dass du um die Ecke jemanden im Trikot eines englischen Vereins antriffst. Vor allem Chelsea & Manchester United sind in Uganda extrem populär. Auch die Bundesliga ist kein unbeschriebenes Blatt, sodass auch Leute im BVB oder Bayern Trikot anzutreffen waren. Die Ugandan Super League, die eher semi-professionelle einheimische Liga, genießt im Land wenig Ansehen und steht eher im Schatten der ausländischen Topligen. Viele Spiele werden live auf der Facebook-Seite des Verbandes übertragen. Dass Facebook-Live und Fußball keine gute Kombination ist, sollte vor allem uns Herthanern klar sein…doch nun zurück zur eigentlichen Geschichte.
Die ersten Tage in Uganda waren ein absoluter Kulturschock: überfüllte Straßen, exotisches Essen & eine unfassbare Hitze waren einige von vielen Punkten, die uns in Kampala, der Hauptstadt, zu schaffen machten. Umso schöner war es, als wir uns nach einigen Tagen endlich auf den Weg nach Norduganda machten. Das Hauptziel der Reise war Anaka, das Dorf in dem wir uns die nächsten zwei Wochen für ein soziales Projekt aufhalten sollten. Viel kann man nicht über Anaka sagen. Geografisch liegt das Dorf eigentlich im Nirgendwo nahe der kongolesischen Grenze. Selbst in der nächsten größeren Stadt, knapp 30 Minuten entfernt, zuckten die meisten Leute nur mit den Schultern, wenn man den Namen nannte. Das 1.500-Seelen-Dorf ist eine lange Straße mit mehreren Gewerben, zwei Restaurants, zwei „Hotels“ und vielen Lehmhütten auf beiden Seiten.
Zu Beginn unserer Zeit in Anaka wurden wir häufig mit schiefen Blicken angeschaut. Das anfängliche Misstrauen im Dorf legte sich jedoch schnell und es wurde alles getan, um uns so gut wie möglich in die Dorf-Gemeinschaft aufzunehmen. Zum Beispiel haben sich unsere Namen sehr schnell herumgesprochen, sodass wir manchmal von Fremden auf der Straße mit Namen gegrüßt wurden. Teilweise echt skurril.
Der ersten Bundesliga-Samstag der Bundesliga Saison 2016/17 ging relativ spurlos an mir vorbei und ich checkte nur abends die Ergebnisse. Hertha spielte sowieso erst am nächsten Tag und ich hatte es bis dahin sehr genossen, ein paar Tage offline zu sein.
Der Morgen des Saisonstarts verlief unspektakulär. Der Wecker klingelte wie gewohnt um 7:30 morgens. Nach der eiskalten Dusche gab es das übliche Frühstück: Kartoffeln mit dem vermutlich zähesten Ziegenfleisch, das ich je gegessen habe. Wenn es gut lief, konnte man das Essen ohne Sandrückstände genießen, was jedoch eher selten der Fall war. Der Stromgenerator der Unterkunft wurde meist gegen 8 Uhr für 2 Stunden angeschaltet, sodass wir unsere Handys in dieser Zeit laden konnten. Der Weg zum Projekt sorgte bei mir schon für einen fußballerischen Lacher, als uns eine Frau im grünen T-Shirt mit der Aufschrift „100% Werder“ entgegenkam. Viel gab es an diesem Sonntag nicht zu tun. Nach ein paar Umbauarbeiten und einer kleinen Partie Fußball mit den Schulkindern hatten wir bereits um 15 Uhr „Feierabend“. Bis zum Hertha-Spiel waren es knapp zwei Stunden und in mir baute sich die Hoffnung auf, das Spiel doch noch mitverfolgen zu können.
Abbildung 1 Anaka
Schräg gegenüber von unserer Unterkunft befand sich ein bemaltes Holzschild mit der Aufschrift „Sports Bar & Grill | Football live“ und einem Pfeil, der hinter das Haus führte. Da ich wenig zu verlieren hatte, entschied ich mich, dem Ganzen eine Chance zu geben. Knapp eine halbe Stunde vor dem Anpfiff machte ich mich auf den Weg auf die gegenüberliegende Straßenseite. Eigentlich wurde uns abgeraten hinter die Häuserreihen zu gehen, da es dort gefährlich sei. Der Wille Fußball zu schauen war in mir jedoch deutlich größer. Hinter den Häusern befand sich ein kleines Gebäude aus Holz, was auf dem ersten Blick starke Ähnlichkeit mit einem Stall hatte. Auf dem zweiten Blick stellte ich fest: Es IST ein Stall. Vor dem Stall saß an einem Plastiktisch ein älterer Mann. Auf dem Tisch lag eine Kasse, eine Fernbedienung, mehrere Erdnuss-Packungen sowie Tüten-Gin. Richtig gelesen! In Uganda wird Gin aus 100 ml Tüten konsumiert. Als der Mann mich sah schreckte er auf und begrüßte mich mit den Worten „Hello my Friend! You´re welcome!“. Die 500 ugandischen Schilling (knapp 10 Cent), die auf einem Schild als Eintrittspreis deklariert waren, lehnte er auch nach mehrfachem Bestehen meinerseits ab. Als wäre das nicht genug, drückte er mit eine Tüte Gin sowie Erdnüsse in die Hand. Als ich die Bar betrat, schlug mir ein stechender Geruch aus Schweiß, Alkohol & Heu entgegen. Bis auf den Heu-Geruch eigentlich kein Unterschied zu einer Hertha-Kneipe in Berlin. Es waren mehrere Plastikstühle und Bänke aufgestellt. Vorne stand auf einem kleinen Tisch ein überraschend moderner, halbwegs großer Fernseher. Als ich leise „Hello“ in den Raum rief, richteten sich schlagartig alle Augen der knapp 20 Männer im Raum auf mich. Ich fühlte mich wie ein Herthaner in der Union-Fankurve: fehl am Platze.
Um der Situation etwas entfliehen zu können, setzte ich mich auf einen der freien Stühle und nickte meinem Sitznachbar zu, der den Gruß mit einem Lächeln erwiderte und fragte, woher ich denn komme. Es entstand ein netter Smalltalk, der jedoch durch den älteren Mann vom Eingang unterbrochen wurde. Nun müsse über das Spiel abgestimmt werden und er stellte sich vor den Fernseher. Zur Auswahl standen die Premier League und die Bundesliga. Mir wurde klar, dass ich gerade kurz davor stand, im tiefsten Uganda ein Hertha-Spiel live verfolgen zu können. Eine Hoffnung die schneller wieder zersprang als sie aufgekommen war. Bei der Premier League, welche zuerst genannt wurde, meldeten sich alle Gäste im Raum. Lediglich mein Sitznachbar wollte anscheinend lieber Bundesliga gucken, was er jedoch sicherlich nur aus Freundlichkeit sagte. So wurde der Fernseher auf West Brom gegen Middlesbrough umgeschaltet. Ein absolutes Top-Spiel…
Es war jedoch ein sehr schöner Nachmittag und es entwickelten sich sehr interessante Gespräche über Fußball mit den anderen Gästen. Während auf dem Fernseher ein absolut langweiliges 0:0 vor sich hinplätscherte, verfolgte ich auf dem Handy im Live-Ticker das Hertha-Spiel. In der 60. Minute ging Hertha mit 1:0 durch Vladimir Darida in Führung, was ich lautstark den anderen Gästen mitteilte, die sich spürbar mit mir freuten. Laut dem Ticker schien es ein relativ ungefährdeter Sieg für Hertha zu werden. Es wäre nicht Hertha, wäre es dabei geblieben. Als die Push-Benachrichtigung über den Ausgleich in der Nachspielzeit eintraf, machte sich eine riesige Enttäuschung in mir breit. Auch wenn es erst der erste Spieltag war, hatte man es mal wieder versaut. Dass ein paar Sekunden später die Benachrichtigung eintraf, dass das Guthaben meiner ugandischen SIM-Karte alle war und ich das Internet nicht mehr nutzen könne, kam mir eigentlich entgegen. Ich konnte am Sonntag eh kein Guthaben mehr kaufen und war viel zu frustriert über das späte 1:1.
Auch als ich am nächsten Tag wieder die Möglichkeit hatte mir Guthaben zu kaufen, blieb ich lieber wieder einige Tage offline. Das erste Mal wieder Internet hatte ich 4 Tage später, als wir die nächste größere Stadt Gulu besuchten. Nachdem ich alle WhatsApp-Nachrichten von Freunden und Familien beantwortet hatte, öffnete ich die Onefootball-App und klickte auf die Bundesliga-Tabelle. Erster Platz waren wie üblich die Bayern, gefolgt vom 1. FC Köln, dem VfL Wolfsburg und Hertha BSC. „HERTHA auf Rang 4?! Mit einem 1:1?“. Ich wechselte auf die Spieltagsansicht, in der ein 2:1 für Hertha gegen Freiburg stand. Tatsächlich hatte ein gewisser Julian Schieber noch das 2:1 in der 95. Minute erzielt. In Berlin die 5. Minute der Nachspielzeit – In Uganda der 4. Tag der Nachspielzeit.
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